Hundert Jahre ‚Pfadfinden‘ in Deutschland – ein unwahrscheinliches Erfolgserlebnis
Mit dem Jahr 2012 blicken wir bereits auf 101 Jahre Pfadfinden in Deutschland zurück, denn die offizielle Gründung des ersten Pfadfinderbundes fand schon 1911 statt. Das ist eine geradezu unglaubliche Erfolgsgeschichte, wenn man sich einmal der Schwierigkeiten erinnert, die dem Pfadfinden, gerade hier in Deutschland immer wieder erwachsen sind.
Die Ausgangssituation
Als der bayerische Stabsarzt Dr. Alexander Lion und der preußische Hauptmann Maximilian Bayer das Buch „Scouting for Boys“ von Baden Powell 1909 nach Deutschland ‚importierten‘, geschah dies zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.
Alles was damals von jenseits des Ärmel-Kanals kam wurde unbesehen in Bausch und Bogen verworfen. Diese Tatsache haben Lion und Bayer verkannt bzw. übersehen!
Das „Pfadfinderbuch“ – eine Hilfe zum Finden des richtigen Lebenspfades
Angeregt durch Baden-Powells Darstellung fertigten die beiden Berufsoffiziere eine Übersetzung von „Scouting for Boys“ – es war die erste Übersetzung des Werks in eine fremde Sprache – die sie im Frühjahr 1909 in Druck gaben.
Weil Lion und Bayer jegliche vormilitärische Ausbildung der Jugend als „Soldatenspielerei“ kategorisch ablehnten, hatten sie beim Übersetzen für die Leitbegriffe „Boy Scout“ und „Scoutmaster“ die gänzlich unmilitärischen Begriffe „Pfadfinder“ und „Feldmeister“ gewählt und in der Einleitung des „Pfadfinderbuches“ unmissverständlich festgehalten.
Noch bevor ihr „Pfadfinderbuch“ in den Satz ging, gründeten Lion und Bayer zusammen mit dem Fabrikanten Georg Baschwitz am 20. Januar 1909 in Berlin den kleinen Verein „Jugendsport in Feld und Wald“ und sahen sich, gänzlich überrascht, in der deutschen Öffentlichkeit sogleich heftigsten Angriffen ausgesetzt.
Besonders widerwärtig waren die antisemitischen Töne, wo man – in infamer Anspielung auf den Juden Baschwitz und den zum Katholizismus konvertierten Juden Lion hämisch von „Judensport in Feld und Wald“ sprach.
Trotz der vielen gezielten, unsachlichen und bösartigen Angriffe auf das „Pfadfinderbuch“ entwickelte sich dieses sofort nach Erscheinen zu einem ‚Renner‘. Die 5.000 Exemplare der Erstauflage waren binnen Jahresfrist vergriffen.
Im Frühjahr 1912 schossen in Württemberg und in Sachsen, evangelische Pfadfinderkompanien wie Pilze aus dem Boden. Ende 1912 zählte man schon ca. 10.000 evangelische Pfadfinder.
Der Deutsche Pfadfinderbund (DPB) wird gegründet
Ursprünglich hatten Lion und Bayer nicht an die Gründung einer eigenen Organisation gedacht. Aber als der Druck der ‚Basis‘ immer größer wurde, kamen sie schließlich nicht darum herum. Unter Federführung von Bayer schlossen sich viele Trägervereine von Pfadfindergruppen zum „Deutschen Pfadfinderbund“ (DPB) zusammen. Die „offizielle“ Gründungsfeier folgte am 40. Jahrestag der Reichsgründung, am 18. Januar 1911.
Der DPB übernahm als Losungswort das englische „Be prepared“/„Allzeit Bereit“, den Gruß „Gut Pfad“ und –der deutschen Mentalität sprachlich angepasst – das von Baden-Powell entworfene 10-teilige Pfadfindergesetz, dessen Bestimmungen jeweils nicht mit einem „Du sollst…Du musst…Du darfst“ begannen, sondern mit: „Der Pfadfinder i s t …
Die Führerschaft wurde darüber belehrt, dass der DPB sich von jeglicher politischen Partei fernhalten müsse und andere Jugendbünde nicht zu befehden seien.
Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass die Jungen zu selbständigen und selbsttätigen Menschen erzogen werden sollen, die später im Leben auf eigenen Füßen stehen und sich selber zu helfen wissen.
Bayer fand auch noch die Zeit Frau Elise Hermine v. Hopfgarten bei der Gründung des „Deutschen Pfadfinderbundes für junge Mädchen“ beratend zu unterstützen und an dem von ihr herausgegebenen „Pfadfinderbuch für junge Mädchen“ engagiert mitzuarbeiten.
Im Ersten Weltkrieg
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, zählte der Deutsche Pfadfinderbund ca. 120.000 Pfadfinder. In diesem Zusammenhang ist eine Legende zu berichtigen nämlich, dass die Pfadfinder, ähnlich wie der Wandervogel, im Grunde eine bildungsbürgerliche Bewegung gewesen seien, konzentriert auf die höheren Schulen. Das war mitnichten der Fall: 1914 waren 50% der Pfadfinder Volks- und Fortbildungsschüler.
Wie die Wandervögel, so haben sich auch die Pfadfinder nach Kriegsausbruch freiwillig gemeldet und im Krieg an allen Fronten einen hohen Blutzoll gezahlt. Der Krieg hat tief in das Leben des DPB eingegriffen.